SINN UND ZWECK DER BALZ

Das Balzgehabe der Tauben als artspezifisches Ausdruckmittel aller ihrer emotionalen Regungen ist fur uns Menschen nicht nur ein amusantes Schauspiel, sondern unterscheidet nun auch endlich geschlechtsbestimmend die Individuen. Es liegt in der Natur der Sache, dab sich das Individuum Rassetaube innerhalb seiner Lebensgemeinschaft moglichst ranghoch plazieren muU. Und es ist ebenso seine lebenserhaltende Veranlagung, sich fortpflanzen zu mussen. Zwei Antriebe also bestimmen beim Begegnen sich bekannter oder auch noch nicht bekannter Tauben das Ritual ihres Gebarens: Rivalitat und Sexualitat.
Die Balz ist:
1. ein Mittel der Geschlechtsbestimmung
2. ein Mittel zur geschlechtlichen Erregung sowie
3. ein Mittel zur Vermeidung von Artenkreuzungen.

zu 1:
Beim Zusammentreffen beider Geschlechter ist die Uberlegenheit des Taubers zweitrangig, primar jedoch, dab durch die Balz weibliche Verhaltensmuster bis hin zur Paarungsbereitschaft provoziert werden. Bedrohen sich beim Begegnen zwei Artgenossen, wobei meist Sichtkontakt genugt und bereits Imponiergehabe demutigend wirkt, erreicht der zuweilen uberlegen Wirkende zweierlei: Trifft er auf einen Tauber, schlagt er ihn in die Flucht und bestatigt sich im Rangordnungsgefuge: begegnet er jedoch einem Weibchen, hemmt alles Drohende aggressive Regungen der Artgenossin.
zu 2:
Angesichts des reizvollen Balzgebarens geraten die Organismen beider Tiere in den zum Gelingen der Begattung erforderlichen Erregungszustand. Dabei wird der mannliche Organismus zur Absonderung sowie der weibliche zur Aufnahme der Spermien bereit. Ledige Tauber werben balzend um die Gunst einer Taubin, damit sie Aufmerksamkeit fur sich erregen. Verpaarte Mannchen leiten die Begattung mit ihrem Balzzeremoniell als sexuel anregenden Ausloser ein.
Nur bei einem ehelichen Vorspiel wird die Balz von kurzer Dauer sein: Scheinputzen, unkontrolliertes Federordnen und das Schnabeln, gegenseitiges Futtern Uubliche Gesten der Zartlichkeit - sind im Stimmulanzgeschehen auslosende Bestandteile, den Hohepunkt der sexuell vereinigenden Phase, die Befruchtung, gelingen zu lassen. Ubereinandersitzend - die Taubin in typischer Begattungsstellung, der Tauber obenauf mit rudernden Flugeln - prebt das Paar zur Ubertragung des Spermas lediglich die Kloaken aufeinander. Der Tauber verfugt uber keinen funktionsfahigen Penis, ist jedoch mit zwei Hoden ausgerustet. Der Taubin sind zwei Eierstocke eigen, wobei der rechte, verglichen mit dem linken, weniger stark entwickelt ist.
zu 3:
Die Gesetzmabigkeiten des arteigenen Brutverhaltens und der damit verbundenen Partnerwahl schlieUen in der freien Natur Artkreuzungen grundsatzlich aus - ein Phanomen, das die Reinheit der Artenvielfalt garantiert. Andererseits unterscheidet sich das Balzverhalten unserer Haustaubenrassen, da sie ja alle der gleichen Art angehoren, nur im Temperament: Tummler sind beispielsweise flinker, schwere Formentauben dafur behabig kraftvoller.
Das umfangreiche Gebiet dieses Kapitels birgt viele, viel zu viele Details, die zudeuten ein beinahe lebenslang zu lesendes Buch fullen konnte. Denn fur den aufmerksamen Zuchter bieten sich taglich merkwurdige Geschehnisse mit letztlich naturlich erklarbaren Ursachen. Nicht selten namlich finden sich sogar in kontrollierten Zuchten "Paare" zusammen, bestehend aus zwei eigentlichen Taubinnen, in denen eine starkere Beziehungshalfte, mit mannlichen Verhaltensmustern ausgestattet, als Scheingeschlechtspartner in der Lage war, die zweite Taubin an sich und ein gemeinsames Nest zu binden.
Wenn die Balz normalerweise bestimmte Auslosemechanismen unfehlbar steuert, wie kann es zu solchen "Unartigkeiten" kommen?
Wiederum in der. Enge, haufig in uberbesetzten Schlagen oder im Jungtierschlag gelegentlich mangels Tauber, treffen zwei geschlechtsreife Taubinnen zusammen. Beide Tiere machen unter sich sofort eine Rangordnung aus, d. h. nach Austragen der geschilderten Rivalitaten wird die Stellung zueinander entschieden. Dadurch beeinfluUt, werden der ranghoheren Taube mannliche Verhaltensweisen auferlegt. Damit kann es zwischen den beiden Taubinnen zur gleichgeschlechtlichen Paarung kommen, wobei die schwachere die Begattungsstellung einnimmt und die uberlegene eine Scheinbegattung vollzieht. Es wird ein Nest gebaut, zweimal zwei Eier gelegt, und sofern sich geschechtsreife Tauber bei den Taubinnen aufhalten, ist das Doppelgelege nicht selten sogar befruchtet. Den Zuchtern sind solche "Paare" sehr willkommen, ziehen sie doch vorbildlich Jungtiere aus anderen Nestern auf Ugewissermaben ein hilfreiches Ausweichquartier fur die eigentliche Zucht.
Dieses nicht artgemabe Verhalten zweier Taubinnen entsteht unter dem Eindruck der sozialen Rangverhaltnisse aufgrund der raumlichen Enge einer Zuchtmethode, wobei energiereiche Futterung der Fehlsteuerung des Geschlechtstriebes zusatzlich forderlich ist. Wahrend hier die mannlichen Veranlagungen des starkeren Weibchens zum Ausdruck gelangen, wurde die Balz eines Taubers die mannlichen Regungen der Taubin unterdrucken, um so mehr jedoch ihre weiblichen Reflexe auslosen.
Zusammenfassend sei festgestellt, dab also jedes Individuum eines Taubenschlages befahigt ist, sich sowohl mannlich als auch weiblich, demzufolge geschlechtlich entgegengesetzt zu verhalten. Nicht selten werden Erfahrung und Geduld der Zuchter auf die Probe gestellt, wenn sich beim Zusammenstellen der Zuchtpaare der eine oder andere auserwahlte Kandidat nicht von der erhofften Seite zeigt. Tauber oder Taubin vor allem bei fluchtigen Rassen herauszufinden, ist somit oft genug ein echtes Problem. Dem in eine Rassetaubengemeinschaft integrierten Individuum bleibt keine Begebenheit verborgen, jedes Geschehen wird registriert und gegebenenfalls ausgekostet. So sind die Tauber fortwahrend darauf erpicht, bereitwillige Taubinnen - ob verpaart oder ledig - zu begatten. Besonders nach dem Baden fuhlen sich die Tauber zur Paarung aufgefordert, wenn die Tiere mit ausgebreiteten Flugeln zum Trocknen in der Sonne liegen. Eine Abwehrreaktion geht von den Belastigten selten aus, mit Widerwillen ertragen sie das vorubergehende Attackieren.
Die Balz als Verstandigungsinstrument regelt die Stellung des Individuums in der Gemeinschaft. Ein standiges Balancieren zwischen den Attributen machtig und schwach ermoglicht allen Tieren ein ertragliches Dasein mit absoluten UberlebensUchancen. Wie alle Tiere, so kennen auch die Tauben keinen Brudermord, weil angeborene Hemmungen sie daran hindern, den Artgenossen umzubringen. Dieses Prinzip hat allerdings nur dann Gultigkeit, wenn sich schwache, unterlegene oder gar bereits vom Tode gezeichnete Tiere aus der Sicht des oder der Widersacher bringen konnen
Das Friedenssymbol Taube zeigt sich in den Rassezuchten keineswegs auUerordentlich friedfertig, insbesondere dann, wenn ihm in der Enge uberbesetzter Schlaganlagen jede Entfaltungsmoglichkeit genommen wird. Dies allein ist die Ursache bedenklicher Entgleisungen: Blutig gezeichnete Tauben in Schlagen und Volieren sind keine Einzelfalle. Warum sie unter bestimmten Umstanden gar von ihresgleichen todlich zugerichtet werden konnen, labt sich leicht erU und begrunden: Bedrohte Tiere zeigen ihre Unterlegenheit mit Zuruckweichen, Davonlaufen oder Wegfliegen an. Gelingt diese Absicht des Verstandlichmachens ihrer Demut nicht, behindert durch die Abmessungen zu kleiner Stallungen oder die Verdrahtung der noch kleineren Volieren, endet die Flucht vor diesem unverruckbaren Hindernis. Magnetischer Anziehungskraft gleich reagieren uberwiegend Tauber zugellos und folgen dem gepeinigten Tier. Hemmungslos hacken sie drauflos, dabei gezielt auf Schadeldecke und Rucken. Ahnliche Verhaltensweisen lassen sich auch in Huhnerzuchten beobachten damit in Widerspruch zu der These, im Tierreich gabe es grundsatzlich keinen Mord unter Artgenossen. Huhner und Tauben in groben Auslaufen bzw. nahezu grenzenlosem Freiflug sind davon hingegen kaum betroffen. Bei ihnen ist die Umwelt sozusagen "doch noch in Ordnung".